
Berlin Festival in Berlin: Theatertreffen in Moll
Beim Berliner Theatertreffen, dem Gipfeltreffen deutschsprachiger Bühnen, sind ab Freitag wieder die zehn bemerkenswerten Inszenierungen der Saison zu sehen. Inhaltlich sieht es düster aus. Von Barbara Behrendt
Sieben Theaterkritikerinnen und -kritiker haben für das diesjährige Berliner Theatertreffen aus sage und schreibe 738 Inszenierungen in 88 Städten zehn bemerkenswerte Abende ausgewählt. Inhaltlich wird es ab Freitag, so sagte die Festivalleiterin Nora Hertlein-Hull bei einer Pressekonferenz, eher düster zugehen: "Unser Juror Martin Thomas Pesl hat bei seinem Essay über den diesjährigen Jahrgang einen insgesamt herrschenden Moll-Ton proklamiert. Themen sind vor allem Erbe und Vermächtnis, Konventionen und Trauma. Die Arbeiten setzen sich mit Künstlicher Intelligenz genauso auseinander wie der schieren Malaise des menschlichen Daseins."
Eine tyrannische Matriarchin
Eine besonders perfide Konvention könne man schon in der Hamburger Eröffnungsinszenierung sehen: Alice Birchs Bearbeitung von Federica Garcia Lorcas berühmtem Stück "Bernarda Albas Haus", inszeniert von Katie Mitchell. Acht Jahre müssen die fünf Töchter der Bernarda Alba nach dem Tod des Familienvaters Trauer halten und dürfen das Haus nicht verlassen. Was zu Tragödien führt. Es herrschen die unbarmherzigen Ausprägungen des Patriarchats – umgesetzt von einer tyrannischen Matriarchin.

"Die Frauen vereinzeln"
Die Schauspielerin Bettina Stucky, die die alte, demente Maria im Stück spielt, beschreibt den Abend als komplexe Parallel-Montage, in die man sich erst hineinhören müsse. Und: "Die Frauen vereinzeln, das ist das Schlimme. Alle Frauen bleiben wahnsinnig allein mit ihren Problemen. Und diese Vereinzelung macht sie dann eben nicht solidarisch – das ist wie im Leben."
Bettina Stucky wird außerdem eine junge herausragende Schauspielerin oder einen herausragenden Schauspieler für den Alfred-Kerr-Darstellerpreis aus allen eingeladenen Inszenierungen auswählen.
Sexueller Missbrauch: "Krasse Handlungen nur andeuten"
Mit der Einladung seines letzten Stücks "ja nichts ist ok" wird dem 2024 verstorbenen Volksbühnen-Intendanten René Pollesch gedacht – auch diese Performance wirft einen dunklen Blick auf die Welt. In Luise Vogts Münchner Inszenierung von Brechts "Die Gewehre der Frau Carrar" ist dann das Kriegsgeschehen Thema. Und auch Sam Max' Stück "Double Serpent", inszeniert von Ersan Mondtag, behandelt ein schwieriges Thema: sexuellen Missbrauch.
"Sam hat ein Stück geschrieben, das ziemlich subtil diese ganzen krassen Handlungen nur andeutet", so Ersan Mondtag. "Und so haben wir daraus einen Abend gemacht, der das ästhetisch genauso umsetzt, wie das Stück das vorgibt. Dass man die Sachen nicht auserzählt und in diesem Nichtauserzählen eben die ganze Brutalität erzeugt." Das sei, ergänzt die Wiesbadener Intendantin Beate Heine, an deren Haus der Abend entstanden ist, eine echte Herausforderung fürs Publikum. Viele Menschen würden die Aufführung verlassen.

Neu: eine Performance mit VR-Brillen
Mit der feministischen Skandal-Oper "Sancta" von Florentina Holzinger an der Berliner Volksbühne und dem warmherzigen Migrationsdrama "Unser Deutschlandmärchen" von Hakan Savas Mican am Berliner Maxim-Gorki-Theater kommen aber schließlich auch Esprit, Leidenschaft und Musik zum Festival.
Ein echtes Novum ist die VR-Performance "End of Life". Im Martin-Gropius-Bau wird das Gastspiel in 90-minütigen Zeitfenstern gezeigt. Mit Virtual-Reality-Brillen begeht man die digitale Ruinenlandschaft des Wiener Kollektivs "Darum", und soll sich die Frage stellen, wie mit unserem digitalen Erbe umgegangen werden kann. Das Kollektiv ist eines der sieben Regie-Teams, die ihr Debüt beim Theatertreffen feiern.
Das Internationale Forum feiert 60. Jubiläum
Das Internationale Forum, bei dem sich junge Theaterschaffende aus aller Welt treffen, zeigt zu seinem 60. Jubiläum zudem einige ausgewählte Performances seiner knapp 2.500 Alumni. Grund zu feiern hat auch der Regisseur Christopher Rüping, der mit dem Theaterpreis Berlin der Preußischen Seehandlung ausgezeichnet wird.
Und wer es nicht selbst zum Theatertreffen schafft: 3sat zeigt gleich vier der ausgewählten Inszenierungen, die dann, das ist neu, ein ganzes Jahr lang in der Mediathek abrufbar bleiben.
Sendung: Radioeins, 02.05.2025, 6:55 Uhr