„Biogas“ steht auf den Rohren in der Biogasanlage Grabsleben

Bioenergiebranche unter Druck Von falschen Klimazertifikaten und Palmölschwindel

Stand: 04.05.2025 15:53 Uhr

Betrug mit China-Zertifikaten und Palmöl-Importen setzt die deutsche Bioenergiebranche unter Druck. Betreiber bangen um ihre Existenz, Experten fordern Aufklärung.

Von Ekkehard Muntschick, mdr

Der Handel mit Treibhausgasminderungszertifikaten, kurz: THG-Zertifikate, soll einen Anreiz für Unternehmen schaffen, Emissionen zu reduzieren. Projekte, die nachweislich Emissionen einsparen, erhalten diese Zertifikate, die dann an Unternehmen verkauft werden können, die ihre Klimaziele anders nicht erreichen können, zum Beispiel an Mineralölkonzerne - eine Art umweltpolitischer Ablasshandel.

In den vergangenen Monaten wurde durch gemeinsame Recherchen von ZDF frontal und Deutscher Welle bekannt, dass zahlreiche "Upstream Emission Reduction" ("UER")-Klimaschutzprojekte in China, die eigentlich Treibhausgase reduzieren sollten, mit gefälschten Zertifikaten versehen wurden.

Die angeblich umweltfreundlichen Anlagen in China waren entweder zu alt oder existierten überhaupt nicht. Die Folge: Eine Flut von ungültigen Zertifikaten, die im Rahmen des europäischen Emissionshandels (EU ETS) gehandelt werden, gelangte auf den Markt und drückte deren Preise massiv nach unten. Und es wurden Millionen Tonnen an CO2-Einsparungen bestätigt, die nie stattgefunden haben.

Untergrabenes Vertrauen

Claus Sauter, Geschäftsführer des größten deutschen Bioenergieproduzenten Verbio, erklärt: "Der Betrug mit falsch zertifizierten Projekten in China untergräbt das Vertrauen in den Emissionshandel und führt zu einem Preisverfall bei den Zertifikaten. Das trifft insbesondere die deutsche Bioenergiebranche, die auf stabile und verlässliche CO2-Minderungszertifikate angewiesen ist."

Das für die Treibhausgas-Zertifizierungen zuständige Umweltbundesamt lässt zurzeit durch eine internationale Anwaltskanzlei untersuchen, wie es zu den mangelhaften Zertifizierungen kommen konnte und bestätigte die Vorwürfe im Wesentlichen: "Wir beobachten mit großer Sorge, dass offenbar in erheblichem Umfang Klimaschutzprojekte in China falsch zertifiziert wurden", so Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes (UBA). "Dies untergräbt das Vertrauen in den gesamten Zertifikatehandel und verzerrt den Wettbewerb."

Palmöl-Importe unter falschem Etikett

Ein weiteres Problem betrifft Palmöl-Importe aus China. Hier steht der begründete Verdacht im Raum, dass konventionelles Palmöl aus Indonesien fälschlicherweise als nachhaltig zertifiziert oder sogar als fortschrittliches Biokraftstoff-Vorprodukt aus Altfetten deklariert wurde, um von höheren Vergütungssätzen zu profitieren. Die Exporte von angeblich nachhaltigem Biokraftstoff aus China nach Europa stiegen im ersten Quartal 2023 um mehr als 83 Prozent an.

Diese Praxis verzerrte nicht nur den Wettbewerb, sondern schädigte auch das Image von tatsächlich nachhaltig produziertem Biokraftstoff aus Deutschland. Über diese Praxis berichtete Panorama 3 im NDR erstmals Ende November 2023. Indonesisches Palmöl ist seit 2023 für die Biokraftstoffproduktion in Europa nicht mehr zulässig, da dort Regenwälder zu Gunsten von Palmöl-Monokulturen gerodet werden.

"Es ist inakzeptabel, wenn durch solche betrügerischen Machenschaften der Markt für nachhaltige Biokraftstoffe untergraben wird", kritisiert der Jurist und Bioenergieexperte Oliver Grundmann, ehemaliger energiepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. "Hier muss dringend für Transparenz und strenge Kontrollen gesorgt werden."

Massiver Preisverfall

Die Auswirkungen dieser Betrugsfälle sind in der Biogas- und Bioenergiebranche deutlich spürbar. Der Preisverfall für THG-Zertifikate von durchschnittlich 300 Euro pro Tonne CO2 auf zurzeit etwa 60 Euro schmälert die Einnahmen der Produzenten, die auf den Verkauf der Zertifikate angewiesen sind. Gleichzeitig leiden sie unter dem unfairen Wettbewerb durch falsch deklarierte Importe.

Konkret bedeutet ein solcher Preisverfall für eine mittelgroße Biogasanlage mit einer jährlichen Produktion von beispielsweise 10.000 Megawattstunden (MWh) und einer entsprechenden THG-Einsparung von mehreren Tausend Tonnen CO2-Äquivalenten einen Einnahmeverlust von Hunderttausenden Euro pro Jahr. Dies kann die Rentabilität der Anlage massiv beeinträchtigen und im schlimmsten Fall zur Stilllegung führen.

Verbio-CEO Sauter sieht die Entwicklung mit großer Besorgnis: "Wir erleben einen massiven Preisverfall bei den THG-Quoten, der unsere Geschäftsmodelle ernsthaft gefährdet. Wenn dieser Trend anhält, droht ein Kahlschlag in der deutschen Bioenergiebranche." So brachen bei allein bei Verbio die Gewinne im zweistelligen Millionenbereich ein. Der Börsenwert des Unternehmens sank 2024 zeitweise um mehr als 60 Prozent.

Auch die Insolvenz des Biomethanunternehmens Landwärme, einem der größten deutschen Händler mit THG-Zertifikaten, hatte Ende 2024 hohe Wellen geschlagen. Der Bundesverband Bioenergie beziffert die wirtschaftlichen Einbußen für die heimische Branche auf etwa 4,5 Milliarden Euro.

Juristische Schritte und politische Konsequenzen

Die betroffenen Unternehmen prüfen nun juristische Schritte, um Schadenersatzansprüche, welche Milliardenhöhen erreichen könnten, geltend zu machen. Die Beweislage gestaltet sich jedoch schwierig, da die Betrugsfälle häufig in China stattgefunden haben und die Verantwortlichkeiten schwer zu ermitteln sind.

Die noch amtierende Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) betonte die Notwendigkeit konsequenter Maßnahmen: "Wir müssen sicherstellen, dass der Handel mit Klimaschutzinstrumenten integer und verlässlich ist. Die Vorwürfe des Betrugs müssen gründlich untersucht werden, und wir werden auf europäischer Ebene auf strengere Kontrollen und Sanktionen drängen."

Die Zukunft der Bioenergie in Deutschland steht auf dem Spiel

Die aktuellen Entwicklungen stellen die deutsche Bioenergiebranche vor große Herausforderungen. Einerseits spielt sie eine wichtige Rolle bei der Erreichung der Klimaziele und der Reduktion der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Andererseits droht ihre Wettbewerbsfähigkeit durch Betrug und unfaire Praktiken untergraben zu werden.

Welche Konsequenzen die aktuellen Betrugsfälle haben und welche Maßnahmen ergriffen werden, um die Integrität des Marktes für THG-Zertifikate und den fairen Wettbewerb in der Bioenergiebranche zu gewährleisten, ist unklar. Die kommenden Monate werden entscheidend sein für die Zukunft der grünen Energie aus Deutschland.

Über dieses Thema berichtete Plusminus am 23.04.2025 um 21:45 Uhr.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 23. April 2025 um 21:45 Uhr.