
Bayern Antisemitismus in Bayern: "So viele Fälle wie noch nie"
Israelfeindliche Parolen auf Demos, Schmierereien, beschädigte Stolpersteine: Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus hat ihren Bericht für 2024 veröffentlicht. Noch nie hat sie in Bayern so viele antisemitische Vorfälle dokumentiert.
Am Jakobsplatz vor der Münchner Synagoge Ohel Jakob - am wohl sichersten und am besten überwachten Platz der Landeshauptstadt - traut sich Jessica Flaster, auch die gelbe Schleife an ihrem blauen Blazer zu tragen. Weltweit gilt sie seit Oktober 2023 als Symbol der Solidarität für die israelischen Geiseln. 59 befinden sich immer noch in der Gewalt der Hamas.
Die 27-Jährige ist Vorsitzende des Verbandes Jüdischer Studenten in Bayern und berichtet bei dem Treffen mit dem BR vor der israelitischen Kultusgemeinde über beunruhigende Zustände, auch an bayerischen Hochschulen.
"Studieren in einem Klima der Angst"
"Jüdische Studierende studieren aktuell in einem Klima der Angst", sagt Jessica Flaster. "Sie ziehen es lieber vor, keinen gelben Pin zu tragen oder nicht zu erwähnen, dass sie aus Israel kommen, wenn es so ist. Weil es einer Mutprobe gleicht, zu seiner Identität zu stehen."
So gebe es Studierende aus Israel, die, wenn sie gefragt werden, woher sie kommen, beispielsweise mit "Griechenland" antworten, berichtet die Vorsitzende des jüdischen Studentenverbandes weiter. Nicht nur Israelis an bayerischen Hochschulen, auch jüdische Studierende aus Deutschland seien zunehmend verunsichert.
Im Video. Meldestelle RIAS verzeichnet Zunahme
RIAS: Noch nie so viele Fälle dokumentiert wie im Jahr 2024
Die Sorgen und Ängste von jüdischen Studierenden spiegeln sich auch in der Statistik wider: In Bayern hat die Polizei im vergangenen Jahr fast 600 antisemitische Straftaten registriert. Das sind mehr als doppelt so viele wie in den Jahren vor dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023.
Und auch die Recherche- und Informationsstelle RIAS dokumentiert seitdem Höchststände: 1.515 antisemitische Vorfälle wurden im Jahr 2024 dokumentiert, rund doppelt so viele wie im Vorjahr 2023 und etwa dreieinhalb Mal so viele Vorfälle wie jeweils in den Jahren 2021 und 2022.
RIAS: Antisemitische Agitation im Netz, mangelnde Empathie für israelische Perspektive
Annette Seidel-Arpacı, die Leiterin von RIAS Bayern, spricht von einem "einschneidendem Jahr": "Wir haben bei RIAS Bayern so viele antisemitische Vorfälle wie nie zuvor dokumentieren müssen. Und neben dem Schock über die Massaker durch palästinensische Terrorgruppen am 7. Oktober 2023 und neben dem anhaltenden Schmerz über verschleppte und ermordete Geiseln hat die massenhafte antisemitische Agitation hier auch auf den Straßen und im Netz viele Jüdinnen und Juden auch in Bayern tief getroffen." Mangelnde Empathie für die Opfer auf israelischer Seite habe dabei zudem viele weiter verunsichert, so Seidel-Arpacı.
Schwerpunkt der Vorfälle auf antiisraelischen Versammlungen
Laut dem aktuellen Antisemitismus-Bericht von RIAS gibt es eine Auffälligkeit: 80 Prozent aller Vorfälle im Jahr 2024 beziehen sich mehr oder weniger auf Israel. Dabei ist keine Kritik gegen die israelische Regierung gemeint, sondern beispielsweise Parolen, die das Existenzrecht des Staates in Frage stellen oder sogar ganz ablehnen. Die Recherchestelle spricht in diesen Fällen vom sogenannten "israelbezogenem Antisemitismus".
Ein Schwerpunkt dieser Vorfälle sind laut dem Bericht antiisraelische Versammlungen oder Demonstrationen. Besonders viele Fälle - nämlich 845 - wurden 2024 allein in der Landeshauptstadt München registriert.
Grafik: Antisemitische Vorfälle in Bayern

Grafik: Antisemitische Vorfälle von 2019 bis 2024 in Bayern.
Spaenle: Israelorientierter Judenhass darf nicht hingenommen werden
"Diesen israelorientierten Judenhass darf man nicht hinnehmen", betont Ludwig Spaenle, der Antisemitismus-Beauftragte des Freistaates Bayern. Er zeige, dass die in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden von Gegnern des Existenzrechts Israels in politische Mitverantwortung genommen werden. Diese Sichtweise sei unzulässig, diskriminierend und Unrecht, so Spaenle. Er befürwortet deshalb unter anderem, den Strafrechtstatbestand der Volksverhetzung zu konkretisieren.
Weitere Maßnahmen gegen Judenhass seien außerdem bereits eingeleitet worden, damit sich Jüdinnen und Juden in Bayern wieder sicher fühlen könnten. So sei ein Netzwerk gegen Antisemitismus geknüpft worden, das von der Staatsregierung und dem Landtag über die Justiz, die Polizei und Universitäten bis hin zur Bildungsarbeit reiche.
Forderung: Hochschulleitungen dürfen nicht wegschauen
Jessica Flaster vom Verein jüdischer Studenten nimmt auch die Hochschulleitungen in die Pflicht und hat eine klare Forderung: Es brauche "viel mehr Prävention und Sensibilisierung beim Thema Antisemitismus. Man darf nicht wegschauen."
Die Zustände an der Humboldt-Universität in Berlin hätten ganz eindrücklich gezeigt, was passieren könne, wenn nicht gegen den Antisemitismus vorgegangen werde, wenn pro-palästinensische Proteste in Universitätsräumen stattfinden dürften, so Flaster. "Wenn Stühle rausgerissen werden, antisemitische Parolen auf Wänden geschrieben werden, Aufrufe zur Intifada: Das gilt es zu verhindern."
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Quelle: BR24 28.04.2025 - 18:30 Uhr