Ein AKW an der Küste Taiwans.
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Bedrohung durch China Wie riskant ist Taiwans Atomausstieg?

Stand: 04.05.2025 05:25 Uhr

In Taiwan geht das letzte Atomkraftwerk vom Netz. Die Regierung setzt damit ein Wahlversprechen um. Doch China droht mit einer Blockade. Kann sich Taiwan den Atomausstieg noch leisten?

Nur 500 Meter Luftlinie liegen zwischen dem Hof von Bauer Chang Ching-wen und dem Atomkraftwerk Nummer 3 in Taiwan. "Hier weht oft ein starker Wind", erzählt der 59-Jährige. "Wie schnell wäre bei einem Unfall die Strahlung wohl bei uns?"

Changs Felder liegen auf einer malerischen Anhöhe an der Südspitze Taiwans, im Landkreis Pingtung, der für sein tropisches Klima und seine Badestrände bekannt ist. Ausgerechnet hier, in der Nähe eines Naturschutzgebiets, ging in den 1980er-Jahren ein Atomkraftwerk ans Netz.

Wenn Bauer Chang, ein drahtiger Ex-Berufssoldat, über den Stromkonzern Taipower zu schimpfen beginnt, über jahrelang fehlende Bürgerbeteiligung und mangelnde Transparenz, dann applaudieren die Gäste auf seinem Hof. Es sind Kleinbauern aus der Gegend, die sich anschauen, wie Chang eine Bio-Landwirtschaft aufbaut.

Biogemüse im Schatten der Reaktoren, das klingt nach einer Herausforderung. Aber bald wird Schluss sein mit der Kernspaltung nebenan. Denn am 17. Mai läuft die Betriebsgenehmigung für das Atomkraftwerk Nummer 3 aus. Damit geht das letzte von ehemals drei AKW auf der Insel vom Netz. Der Bau einer vierten Anlage wurde vor längerer Zeit unterbrochen und schließlich eingestellt.

Opposition attackiert Atomausstieg

Allerdings nimmt die Diskussion um den Atomausstieg gerade erst richtig Fahrt auf. Seit Anfang 2024 hat die Opposition die Mehrheit im Parlament. Jetzt setzen die Regierungsgegner zum späten Angriff auf die Energiepolitik von Präsident Lai Ching-te an. Dessen Demokratische Fortschrittspartei regiert Taiwan seit 2016 und verfolgt das Ziel des Atomausstiegs.

Der junge Abgeordnete Ko Ju-chun von der Partei Kuomintang leitet den zuständigen Parlamentsausschuss. Als die Volksrepublik China, die Taiwan für sich beansprucht, Ende März erneut mit einem Manöver in der Taiwanstraße die Blockade Taiwans übte, zog Ko öffentlich den Atomausstieg in Zweifel, auch wegen der Bedrohung durch China.

"Ohne Strom können wir uns nicht verteidigen", empört sich Ko. Von einer Blockade der Insel könnten auch die Kohle- und Gaslieferungen betroffen sein, mit denen Taiwan den größten Teil seines Stroms produziert. Hingegen sei eine einzige Ladung nuklearer Brennelemente ausreichend, um monatelang Atomstrom zu erzeugen.

"Der vollständige Atomausstieg ist eine Idee aus der Vergangenheit", folgert Ko. Die Abgeordneten seiner Partei wollen eine Verlängerung der Reaktorlaufzeiten durchsetzen.

Der taiwanische Präsident Lai Ching-te bei einer Flaggenzeremonie zum Jahreswechsel

Taiwans Präsident Lai Ching-te setzt mit dem Atomausstieg ein Wahlversprechen um. Doch die Opposition sorgt sich um die Energiesicherheit im Angriffsfall.

Weg zurück zur Atomkraft "sehr schwierig"

Gut möglich, dass der Opposition dies gelingt. Aktive Reaktoren, deren Laufzeit verlängert werden könnte, wird es in Taiwan dann allerdings nicht mehr geben.

Die Energie-Expertin Lu Tsai-ying erwartet nicht, dass sich daran etwas ändern wird. Sie hat für das staatlich finanzierte Institut DSET in Taipeh die Optionen angesichts der Bedrohung durch China untersucht. Selbst wenn der politische Wille da wäre, so die Expertin, könnte die Atomindustrie mit den vorhandenen Kapazitäten in naher Zukunft kaum weiterarbeiten.

Die Lager für verbrauchte Brennstäbe sind nahezu voll. Ein Endlagerstandort wurde nie benannt. Um stillgelegte Atomkraftwerke wieder hochzufahren, müssten umfangreiche Sicherheitstests und Genehmigungsverfahren durchlaufen werden. "Wenn man den Zeitaufwand, den Ausbau von Brennelemente-Lagern und die finanziellen Aspekte berücksichtigt, dann wird es für Taiwan sehr schwierig, diesen Weg kurzfristig einzuschlagen", erklärt Lu.

Energiespeicher bei Angriff oder Blockade schnell leer

Nur noch vier Prozent des in Taiwan benötigten Stroms wurden im vergangenen Jahr durch Kernspaltung erzeugt. Die Regierung will die Lücke durch erneuerbare Energien schließen, vor allem durch große Windparks, die vor der Westküste der Insel entstehen.

Im kommenden Jahr soll der Anteil der Erneuerbaren etwa 20 Prozent der gesamten Stromerzeugung erreichen. Das reicht, um die Atomkraft zu ersetzen. Aber vorläufig bleiben Kohle und Gas die wichtigsten Träger der Stromproduktion in Taiwan. Die Regierung will die Notvorräte aufstocken, damit Taiwan im Ernstfall nicht der Strom ausgeht.

Die Energiespeicher, so die Kritiker, könnten bei einer Blockade innerhalb von zehn Tagen leer sein. Expertin Lu hingegen geht von etwa viermal so viel Zeit aus. Denn im Fall einer Krise in der Taiwanstraße würde die Industrie die Produktion drosseln und den Stromverbrauch reduzieren.

Bauer Chang im Süden Taiwans verfolgt die Diskussion mit gemischten Gefühlen. Ob Stilllegung oder Verlängerung, "beides macht mir große Angst", so der Landwirt. Denn auch bei einem Rückbau des Atomkraftwerks Nummer 3 bleibt das radioaktive Material wohl noch lange vor Ort. Und eine spätere Neuauflage der Atomenergie will auch die Regierung in Taiwan nicht für alle Zeiten ausschließen.

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