Rückenansicht eines Mädchens in Jabalia, zwischen Zelten mit einem Topf in der Hand

Kritik an Lage im Gazastreifen Helfer beklagen "Kriegswaffe Hunger"

Stand: 02.05.2025 19:05 Uhr

Gerade für Kinder im Gazastreifen sei "die Lebensader fast versiegt", mahnt UNICEF. Hunger, Durst und Krankheiten seien allgegenwärtig. Mehrere Organisationen fordern eindringlich Hilfe. Israel sei in der Pflicht, ignoriere dies aber.

Internationale Hilfsorganisationen haben massive Kritik an Israels Vorgehen im Gazastreifen und den Folgen für die dortige Zivilbevölkerung geübt. Sie fordern Israel dazu auf, völkerrechtlichen Verpflichtungen für die Erfüllung von Grundbedürfnissen der Menschen im Gazastreifen nachzukommen.

Israel hungere die Zivilbevölkerung Gazas aus und nutze Hunger als Kriegswaffe, erklärten Vertreter von Oxfam, Save the Children, Norwegian Refugee council und dem Netzwerk palästinensischer Nichtregierungsorganisationen (PNGO) in einem gemeinsamen Online-Medienbriefing, das die Nachrichtenagentur KNA zusammenfasste. Anlass war die zweimonatige "vollständige Belagerung" des Gazastreifens durch Israel.

Insbesondere durch die Anfang März von Israel verhängte vollständige Einfuhrsperre für humanitäre Hilfe und Güter in den Gazastreifen verschärfe sich die Versorgungslage täglich. Bewohnern des Gazastreifens zufolge sind die Lebensmittelpreise seitdem um ein Vielfaches angestiegen. Laut Augenzeugen werden auch immer wieder Geschäfte geplündert. Hunger und Nahrungsmittelknappheit träfen die schwächsten Teile der Gesellschaft besonders stark, darunter Kinder und schwangere Frauen, teilte Oxfams Pressesprecherin in Gaza, Ghada Alhaddad, mit.

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Kevin Poweska, NDR, tagesschau24, 03.05.2025 09:00 Uhr

Vorwurf systematischer Kampagne

Neben Lebensmitteln fehlt es laut Gavin Kelleher, Leiter für humanitären Zugang beim Norwegian Refugee Council, auch an Wasser, Treibstoff und angemessenen Unterkünften wie Zelten. Hinzu kämen die Zerstörung von landwirtschaftlichen Flächen, Angriffe auf Notunterkünfte und Fischer vor der Küste sowie die Weigerung, Hilfsorganisationen Zugang zu Vorräten in Südgaza zu ermöglichen. Kelleher bezeichnete die israelische Gaza-Politik als eine "breite Kampagne, um sicherzustellen, dass Gaza unbewohnbar wird".

Von einer nie dagewesenen, systematischen Kampagne sprach auch Amjad Schawa, der im Gazastreifen lebende Direktor des Palästinensernetzwerks PNGO und Stellvertreter des Generalkommissars der Unabhängigen Menschenrechtskommission. "Wir werden Tausende Opfer beklagen", sagte er. Besonders schwer seien die Auswirkungen des Hungers und der Unterernährung auf Kinder, die irreversible Schäden davontrügen und an den Folgen sterben könnten. Ähnlich äußerten sich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), das UN-Kinderhilfswerk UNICEF sowie die Organisation Aktion gegen den Hunger.

Menschen drängeln mit Töpfen vor einer Essensausgabe in Chan Yunis

Gedränge vor einer Wohltätigkeitsküche in Chan Yunis im nördlichen Gazastreifen.

"Schicksal hängt von unserer Verantwortung ab"

Ein wachsendes Risiko von Hunger, Krankheit und Tod sei "durch nichts zu rechtfertigen", teilte UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell mit. "Humanitäre Hilfe war die einzige Lebensader für Kinder, und nun ist sie fast versiegt." Hinzu kämen fehlende Impfstoffe und die Ausbreitung von Krankheiten. Anhaltende Bombardierungen und Vertreibung erschwerten den Zugang zu Hilfe. Auch die UNICEF-Vertreterin forderte von den Konfliktparteien, humanitäre Hilfe schnell und ungehindert zuzulassen.

Hungrige Kinder suchten in Abfallbergen nach Essensresten und Brennmaterial, berichtete die Sprecherin des UN-Nothilfebüros in Gaza-Stadt, Olga Cherevko. Durch das Verbrennen von Plastik entstehe überall gefährlicher Rauch. Sie sehe in den Straßen unterernährte Kinder. In ihrer Verzweiflung griffen Menschen inzwischen immer öfter die wenigen Lastwagen an, in denen Wasser oder Nahrungsmittel vermutet werden. 

"Die internationale Gemeinschaft hat die Wahl: Entweder sie schaut sich weiterhin die grausamen Bilder des erstickten und ausgehungerten Gazastreifens an oder sie bringt den Mut und die Moral auf, Entscheidungen zu treffen, die diese gnadenlose Blockade durchbrechen", sagte Cherevko. "Die Menschen in Gaza haben keine solche Wahl. Ihr Schicksal hängt von unserer gemeinsamen Verantwortung zum Handeln ab."

171.000 Tonnen Lebensmittel stünden bereit

Das Rote Kreuz warnt ebenfalls, dass die Menschen kaum noch überleben könnten. Am IKRK-Feldkrankenhaus gingen Nahrungsmittel und medizinische Produkte zur Neige. Wasserleitungen seien kaputt und Lastwagen zur Abwasserentsorgung zerstört worden. Israel sei als Besatzungsmacht verpflichtet, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu decken, so das IKRK. Es wacht über die Genfer Konventionen, die den Umgang mit Zivilisten in bewaffneten Konflikten regeln.

Außerhalb des Gazastreifens lagern nach Angaben von Aktion gegen den Hunger rund 171.000 Tonnen Lebensmittel, die für eine Versorgung der gesamten Bevölkerung im Gazastreifen für bis zu vier Monate reichten. Dafür müsse jedoch der Zugang von Hilfsorganisationen zu den Vorräten gewährt werden. Hunger und Einschränkungen von humanitärer Hilfe dürften niemals als Druckmittel eingesetzt werden.

"Wir planen für den Tod"

Auch die Nachrichtenagentur dpa schildert die Dramatik der Situation, in der sich viele Menschen im Gazastreifen befinden. Ein vierfacher Vater berichtete demnach, er wolle, dass zumindest ein Teil seiner Familie überlebe. Deshalb habe er zwei seiner Kinder seinem Bruder übergeben und im Gegenzug zwei Kinder des Bruders in seine Obhut genommen - für den Fall, dass einer von ihnen angegriffen wird. "Das bedeutet es, heute in Gaza zu leben. Eltern planen nicht für die Schule oder Geburtstage - wir planen für den Tod und versuchen, das Schicksal auszutricksen, damit zumindest einige unserer Kinder verschont bleiben."

Karte: Gazastreifen, dunkle Flächen: besiedelte Gebiete

Dunkle Flächen: besiedelte Gebiete

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 02. Mai 2025 um 09:10 Uhr.